Mittwoch, 23. Oktober 2019

WIE DIE RÜHREIER ENTSTANDEN SIND


Ein Märchen aus längst verschollenen Zeiten


Pfeifend lief der Sturm durch den Tannenwald. Mit seinen kalten Fingern riss und zerrte er im Vorbeirennen an den Ästen und Zweigen, dass die kleinen Bäume sich verängstigt neigten und die großen, die schon so viele Lebenserfahrung hatten, um zu wissen, dass etwas schimpfen alles Unangenehme erleichtert, – quarrten und knarrten, dass es nur so eine Art hatte. Ab und zu hielten sie erstaunt inne – das war, wenn wieder ein neuer Gast bei der Felsgrotte ankam, in der heut die Moosweiblein und Steinzwerge ein großes Fest feierten.
Verstohlen und fast verlöscht vor Neugier, guckte dort ein flackerndes Irrlicht aus dem Busch hervor, das nicht eingeladen war, weil es schon zu oft zur Nachtzeit den einen oder anderen Steinzwerg, der zuviel Birkensaft getrunken, auf Abwege gelockt hatte. Kaum sah des Sturmes Jüngster, der Morgenwind, die arme Flimmerflamme, als er gleich mit vollen Backen auf sie losblies und sie bis ins dunkle, schwippende Moor trieb. Dort aber tauchte sie unter und versteckte sich unter den weißen Totentüchern, die das Moorgespenst just ausbreitete. Vor dem aber fürchtete sich selbst der kecke Morgenwind, schüttelte sich und rannte davon.
         „Kinder, sagt mir doch bloß, was heut eigentlich los ist“, wisperte eine Zwergtanne zu den sie umstehenden mächtigen großen Bäumen herauf. Denn sie liebte es, im Großmutterton mit den Großen zu sprechen.
         „Ja, das weiß der Deibel“, knurrte ein verhutzeltes Wurzelmännchen und biß dazu an seinen Fingernägeln herum. Da bekam es plötzlich von rückwärts her einen herben Klaps auf die Hand, und als er fauchend herumfuhr, stand der Waldgeist hinter ihm, der stets auf Form und Sitte hielt. Mit seiner tiefen Stimme, die wie Waldesrauschen klang, sagte er:
„Erstens nagt man nicht an seinen Fingern wie ein hungriges Mäuslein am dürren Holz, und zweitens lässt ein derartiger Waldmann den Deibel ungerufen!“
         „Wenn du da bist, Allweiser, brauchen wir ihn ja auch nicht“, krächzte das freche Männlein, fuhr aber vorsichtshalber doch in seine tiefste Höhle, kopfüber, und schob noch ängstlich eine dichtverwachsene Wurzeltür hinter sich zu.
Der Waldgeist aber hatte gar nicht mehr auf ihn gehört, denn er sah zwischen den Bäumen mit ängstlichen, großaufgerissenen Äuglein ein Kind daher kommen, einen Korb voll Hühnereiern am Arm, den es krampfhaft festhielt. Dass es von der Menschen Art sei, hatte der Waldgeist gleich gemerkt, denn es stolpert über die Wurzeln, was kein Waldmännlein tut, und die verschüchterte Art, mit der es auf das Gewisper und Geraune im Walde lauschte, das Entsetzen, mit dem es zurückfuhr, wenn mal ein Zweig ihm schmeichelnd die Wange berührte – zeigte dem Alten, dass es ein junges, verirrtes Menschenkind war. Als es vor die Felsgrotte gekommen und die lachenden, gieckenden Alraunen beim Lichte faulender Weidenstümpfe hüpfen und springen sah, da ward ihm himmelangst, und es faltete die kleinen Fingerlein so fest, dass sie rot anliefen, und betete ganz laut:
         „Lieber Gott! Ach schicke mir doch mein Mütterlein her!“
Das rührte den Waldgeist, er zeigte sich dem Kind, bückte sich zu ihm nieder und sagte:
         „Ich will dich zu deinem Mütterlein führen!“
Da vertraute ihm das kleine Ding, und da es ein kleines Mägdlein war und wißbegierig, wie diese Art nun einmal ist, so fragte es rasch getröstet:
         „Was die da machen unter dem nassen Gestein?“
Ehe noch der Waldgeist antworten konnte, kletterte ein kurzgeschürztes Moosweiblein über einen tiefgewachsenen, glibbrigen Ast, der im Schlaf ein wenig quarrte und knarrte, denn er war schon alt und hatte sich in der letzten Gewitternacht erkältet, – und dann ganz atemlos vor dem Waldgeist an. Sie hatte einen harten Kochlöffel in der Hand und klappste damit einen täppischen Nacht-schmetterling auf die Nase, der sie durchaus küssen wollte, denn sie roch, als käme sie geradewegs aus der allerschönsten Märchenküche – und gute Küchendüfte besitzen allemal die größte Anziehungs-kraft für alles Männliche.
„Waldgeist!“ keifte das Moosweiblein, „in eurem Namen hat der Kiebitz draussen an der Moorwiese geschworen, dass er mir heut reichlich Eier beschaffen würde, damit ich meinen Gästen Atzung gewähren kann. Als ich die Eier aber in der Dämmerung noch nicht hatte, fing ich mir einen Sommerfaden ein, fuhr auf ihm der Moorwiese zu, wo ich nur die Kiebitzin fand. Als ich der meine Forderung erklärte, da schrie sie laut vor Lachen, dass es mir noch in den Ohren gellt, und behauptete, sie liefere nur im Frühjahr, wenn ihr Mann mir auch jetzt Eier versprochen hätte, so solle ich sie mir nur von ihm legen lassen, aber sie übernehme keine Verantwortung für das, was bei seinen Versprechungen herauskäme! Vor der Nase ist sie mir fortgeschwirrt, jetzt sitz ich ohne Eier, und eure Pflicht ist es, mir rasch zu helfen, Waldgeist, denn bei eurem Namen schwor ja der freche Kiebitz!“
„Seltsam, Seltsam,“ murmelte der Alte und strich sich seinen langen, weißgrünen Moosbart, „wie ihr Weiblein euch doch immer auszureden und zu helfen wisst!“
Dann machte er sich rasch ganz klein, denn das konnte er, so klein, dass sich das Menschlein gar nicht vor ihm zu fürchten brauchte, nahm ihm sacht den Finger aus dem Mund, an dem es vor lauter erstaunen lutschte, und sagte:
„Schenkst du mir, was du da im Korbe hast? Ich geb dir auch lauter große Tannenzapfen dafür und führ dich dann schnell zum Mütterlein!“
Bereitwillig und vertrauensvoll nickte das Kind dazu und stellte seinen Korb aufs knisternde Moos. Neugierig huschte die Moosfrau hinzu und kreischte:
„Eier! Und was für welche! Zweimal so groß wie ich sie je bekommen! Da sieht man, ich bin zu gut, ich verlange zu wenig! Warte“, sagte sie und sprang einem dicken Stein auf den Rücken,
damit sie in einer Höhe mit dem Kinde war, „ich hole jetzt meinen Kessel heraus, darin will ich die Eier sieden und du hilfst mir dazu Feuer machen!“
Damit wollte das Moosweiblein forthuschen, doch der Waldgeist hielt sie noch rasch am flatternden Schürzenbande fest und sagte:
„Richtiges Flackerfeuer wird mir nicht gemacht! Das wäre sowas für den Junker Morgenwind, der um die Zeit herumfährt und vor lauter Langeweile gefährliche Dinge anstellt. Bring du nur deinen Kessel, ich aber pfeife dem Feuermännlein, da bleibt es gleich unter meiner Aufsicht, sonst klettert es mir heut wieder auf ein Binsendach, draussen bei dem Waldbauern.“
„Ist mir recht“, brummte das Moosweiblein, zerrte sein Schürzenband frei und meinte schnippisch: „um mir das zu verkünden, hättet ihr mir die Schürze nicht aufzubinden brauchen, Wohlweiser!“
Der Waldgeist tat, als verstünde er nicht. Das war auch das Beste so, denn eher kann man Ameisen in ein großlöchriges Sieb sammeln, als mit Weibsleuten fertig werden. Als die Moosfrau ihren großen Kessel herauszerrte, der sich sichtlich dagegen sträubte, weil er gerade dabei war, einen tiefsinnigen Aufsatz über den Wert oder Unwert der völligen Inhaltslosigkeit auszuhecken, kam der Feuergeist im knallroten Röcklein um die entsetzt zusammenfahrende Zwergtanne herumgesaust, dass es nur so dampfte. Er hatte ein sichtlich schlechtes Gewissen. Denn wenn ihn der Waldgeist rief, setzte es allemal etwas für irgend eine seiner jüngsten Schandtaten. Und als er jetzt vor dem Gewichtigen stand und verlegen mit den Fingergelenken knackte, dass die Funken sprühten, überlegte er still für sich, wer wohl über ihn gepetzt haben möchte, und dachte sich aus, wie er sich dann an diesem Jemand köstlich und heimlich rächen wollte. Dabei rieselte es ihm ordentlich wohlig warm den Rücken herunter, denn so ein echtes Rachegefühl macht heiß. Drum war das Feuermännlein fast enttäuscht, dass es sich nur unter den Kessel hocken sollte, und um sich wenigstens etwas zu unterhalten, fing es an, von seinem geschützten Standpunkt aus dem Mägdlein, das ihn gar so verdutzt anglotzte, solch grauliche Fratzen zu schneiden, dass dies zu brüllen begann, grell, ohrenzerreißend, dass der Kobold nun seinerseits ganz verängstigt unter dem Kessel saß. Worauf das Geschrei bald in ein Glucksen und Schluchzen überging und allmählich ganz verstummte. Vorher hatte der Waldgeist noch zwei langen Gabelhölzern befohlen, den Kessel mit gebührendem Respekt zu halten, – denn die Dinger lagen doch nur so im Walde herum und die Langeweile hatte sie schon ganz ausgedörrt. Knarrend und ächzend hielten sie den Kessel und das Feuermännlein machte sich einen Hauptspaß daraus, mal dem einen, mal dem anderen der dürren alten Junggesellen so nahe zu rutschen, dass ihre langschößigen Röcke zu sengen anfingen. Dann schimpften sie mit ihren knistrigen Stimmen, aber es half ihnen nicht viel. Da ward ihnen eine unerwartete Hilfe. Der Kessel, ein dickbauchiger alter Herr, der sich für einen großen Gelehrten hielt, weil er tagtäglich geleert wurde, brummte dem fahrigen Männlein zu, doch endlich seinen Schwerpunkt auf die Erde zu verlegen.
         „Na schön, du erwartungsvolle Weisheitstonne, das sollst du büßen“, zischte das Feuer-männlein, sein Kopf lief ordentlich dunkelrot an vor Wut und es musste den Mund aufsperren, damit es etwas abdampfte. Dann plusterte es sich auf wie eine Henne, die brüten will, und heizte dem armen Kessel derart ein, dass er zu hupfen anfing vor Angst. Unterdessen hatte das Moosweiblein den Eierkorb herangezerrt, und als es ihm trotz allen Pustens und in die kleinen Finger spucken nicht auf den Kesselrand stellen konnte, lachte das Menschenkind hell auf und hob den Korb mit schnellem Ruck über den Kessel, der mit weitaugerissenem Munde zusah. Waldgeister können aber das Auslachen noch viel weniger vertragen als manche Menschen, und so sprang denn auch das Moosweiblein dem lachenden Kind auf den Nacken und fuhr ihm in den blonden Haarschopf, dass es vor Schreck alle Eier auf einmal in den harten Kessel schüttete. Die zersprungenen Schalen aber machten rasch, dass sie wieder aus der tollen Hitze herauskommen, tapsten über den Kesselrand und torkelten ganz benommen ins kühle Moos. Die Eier aber waren gleich an dem brummenden Kessel festgeklebt. Erst zwickte das erboste Moosweiblein das Kind noch derb in die Wange, dass dem war, als stäche es eine Mücke, dann gab sie ihm einen scharfen Blechlöffel und schrie:
         „Rühre die Eier! Immer rühre! Vielleicht wird noch ein Eierkuchen draus!“
Und schnell warf das Weiblein Steinsalz und Eichelfutter hinein und goß frische Hirschkuhmilch dazu. Das Kind aber rührte vor lauter Angst, dass es wie toll schäumte und kratzte dann die Eier mit dem scharfen Löffel so eilig, dass der Kessel ordentlich aufkreischte und ganz lange, feste Brocken aus den zerlaufenen Dingern wurden, und ehe das Moosweiblein noch recht zur Besinnung kam, war zwar kein Eierkuchen, aber eine ganz neue, sehr wohlschmeckende Speise gar geworden. Das Feuer-männlein kroch auch neugierig unter dem Kessel vor, und da es gar so appetitlich roch, trippelten eilfertig die Höhlengeister herbei, erhitzt vom Schwatzen und hungrig vom Tanzen, und jeder holte sein Tellerlein und sein Löffelchen aus dem Ranzen, denn es waren gar selbstherrliche Leutchen, und die Moosfrau und das Kind hatten alle Hände voll zu schaffen, bis jeder Hungrige sehr reichlich und voll gemessen Näpflein aufgeladen hatte, und eine zeitlang hörte man nur ein eifriges Schmatzen und Schlecken (das galt für artig bei den Alraunen, aber es klang ganz abscheulich) – bald aber quiekte das eine oder andere der Wißbegierigen oder sich so anstellende Weiblein:
         „Was für ein fein neu Essen das sei, und wie es sich denn nenne?“
Die Moosfrau ward verlegen, denn sie wusste es ja selbst auch nicht und zuckte deshalb geheimnisvoll mit den Achseln, so dass alle glaubten, sie wolle ihre „Kunst“ nur nicht weiter verraten – wie das ja so oft Sitte sein soll, auch unter den Weiblein von Menschenart. Als aber das fragende Gezischel und das Loben gar nicht aufhören wollte, fuhr das Feuermännlein dazwischen und schrie:
„Rühreier heiß ich den Brei. Bedankt euch bei dem Menschlein dafür, das hat ihn gekocht, nicht die heilige Alte!“
Damit zerrte er das Moosweiblein blitzschnell an ihren wohlgepflegten Haaren, das sie versengten und ein abscheulicher Geruch umging. Von all dem Gezeter und Geschrei wurde dem Kind nun ernstlich Himmelangst, es verlangte nach seinem Mütterlein und den versprochenen Tannenzapfen so laut, dass der Waldgeist ganz erschrocken herangetrippelt kam, den Korb im Umsehen füllte und samt dem schluchzenden Kind unter seinen weiten Nebelmantel nahm. Müde schloß das Kind die Augen und als es sie wieder aufmachte, lag es schon in seinem Bettlein, und dann trat sein Mütterlein in die Tür und hielt sich am Pfosten fest, weil es sonst noch gefallen wäre vor freudigem Schreck, dass es sein Kind wiederfand, denn es hatte schon seit Stunden nach ihm ausgeschaut. Deswegen schalt die Mutter auch nicht sehr, dass all die schönen Eier fort waren, und als das Kind ihr all die wunderlichen Dinge, die es erlebt, erzählte, lächelte sie ganz eigen und strich ihm nur leise über die Stirn, als wollte sie dort etwas fortwischen. Die Tannenzapfen im Korb aber hatten sich, wie es ja auch gar nicht anders zu erwarten war, in goldene verwandelt, noch ehe die Mutter sie eilig verheizen konnte. Die Eierspeise aber, von der ihr Töchterchen erzählt hatte, versuchte sie doch und da sie ihr auch gut schmeckte, kamen die Rühreier unter die Leut – in längst verschollenen Zeiten. 


13. Dezember 1919, Neue Hamburger Zeitung

Freitag, 18. Oktober 2019

DIE NEUESTEN BIOGRAFISCHEN ERKENNTNISSE

Bald drei Jahre ist es her, das ich diesen Blog noch regelmäßig bespielte. In der Zwischenzeit haben sich viele, auch überraschende, neue Erkenntnisse herauskristallisiert und sind reichlich Texte von Elinor gefunden worden. Diese gesammelten Informationen liegen nun in einem gebundenen und 738 Seiten starken Buch vor. Jedoch nur für den persönlichen Gebrauch. Ob, und was ich mit dem gesammelten Material anfangen werde, weiß ich noch nicht genau. Soweit mir von verschiedenen Seiten mitgeteilt wurde, sollen Verlage heutzutage wohl doch eher hasenfüßig unterwegs sein, wenn es darum geht unbekannte Schätze einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zurzeit findet ja wieder die Frankfurter Buchmesse statt, vielleicht sollte ich dort einmal bei den Ständen der Verlage vorbeischlendern und meine Ideen vortragen. Wer weiß...?
Nach der gestalteten Beispielseite aus den genannten 738 Seiten folgt dann eine aktuelle Kurzbiografie von Elinor von Monsterberg.



Das Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten von Franz Brümmer berichtet, dass Elinor von Monsterberg als erste von drei Töchtern eines preußischen Leutnants und späteren Generalmajors in Breslau geboren wurde. Sie selbst beschreibt sich als ein wildes Kind, das nur mit Jungen spielte und es als Schande empfand ein Mädel zu sein. Ihr Vater, der Elinor turnen, fechten und reiten beibrachte, war ihr bester Freund.

Die „schlesische Krankheit“, also die Lust alles in Reime zu bringen, soll schon in früher Kindheit bei ihr aufgetreten sein. Mit ihren Gedichten und Prosaarbeiten fand sie in ihrer Mutter eine förderliche Kritikerin. Erste Gedichte wurden unter anderem im Berliner Tageblatt veröffentlicht. Ihre Gedichte unterschrieb sie mit der Kurzform Elinor von Monsterberg. Der Name „Elimar“, mit dem sie sich letztlich schriftstellerisch zeichnete, entstand aufgrund einer Verwechslung. Sie blieb dabei und wurde seitdem für einen Mann gehalten, worüber sie sich freute, denn es lieferte ihr den Beweis, dass in ihren Dichtungen die „bis aufs Blut verhasste weibische Sentimentalität und die mich anwidernde, für moderne Geschlechtsgenossinnen typische Sinnlichkeit nicht vorhanden ist.“ Auch in späteren Texten weist Elinor immer wieder darauf hin, dass ihr manche weiblichen Launen ihrer Geschlechtsgenossinnen suspekt sind.

Durch die ständigen Versetzungen des Vaters führte die Familie eine Art soldatisches Nomadenleben.
Einige der wichtigsten Stationen waren Hamburg (1892), Stuttgart (1899 – 1903) und der ostpreußische Truppenübungsplatz in Arys (1903 – 1905). Während ihrer Stuttgarter Zeit entdeckte Elinor in dem schwäbischen Heimatdichter Heinrich Hansjakob einen wohlgesonnenen Förderer.
Ihren ersten Gedichtband veröffentlichte sie mit einer Widmung für die Königin von Württemberg. Die Familie unterhielt gute Kontakte zum Württemberger Königshaus. Nach der Offizierstätigkeit ihres Vaters ließ sich die Familie in Berlin nieder, wo Elinor begann, für das Berliner Tageblatt zu schreiben und Mitglied im Berliner Lyceum-Club wurde.

Ab 1909 siedelte Elinor von Berlin nach Hamburg über, und wohnte im Haus des Kaufmanns Julius Auer und seinen vier erwachsenen Nachkommen auf der Uhlenhorst. Für den Hamburgischen Correspondenten schrieb sie in den folgenden Jahren Ansichten über die Stadt und ihre Menschen. Besonders sozialen Themen widmete sie ihre Artikel. Über Hamburg und sein Wirtschaftsleben berichtete Elinor ausführlich in einem 1913 beim Volksvereins-Verlag erschienenen Büchlein für die Reihe Soziale Studienfahrten über Geschichte und Staatswesen Hamburgs. Ebenfalls 1913 veröffentlichte der Stuttgarter Greiner und Pfeiffer Verlag ihr Buch „Fragezeichen des Lebens“, in dem sie in zahlreichen Aufsätzen über das Thema Leben und Tod referiert.

Zusammen mit zwei Töchtern aus dem Haushalt der Familie Auer bezog Elinor 1916 eine Wohnung in der Uhlenhorster Richterstraße 15.
Im Hamburgischen Correspondenten erschien von 1916 bis 1917 eine Artikelreihe über insgesamt 33 unterschiedliche Berufsbilder für Mädchen und Frauen. Elinor von Monsterberg beantwortet darin wichtige Fragen zur Berufswahl. Die Schriftleitung weist darauf hin, dass die Artikel „aus der Feder einer langjährigen, in der Frauenbewegung stehenden Mitarbeiterin“ entstammen.
Von November 1919 bis April 1921 war Elinor verantwortliche Schriftleiterin für die Frauenbeilage „Das Reich der Frau“ in der am Gänsemarkt sitzenden Neuen Hamburger Zeitung. Über ihre Ziele für die Frauenbeilage formulierte sie: „Bei aller Wahrung des bewährten Alten gilt es nunmehr, der Frauenwelt an jener Stelle, die ihr und den weiblichen Interessen ganz ausschließlich zu dienen bestimmt ist, alles zu bringen, was Frauengeist, Frauenseele und Frauensinn beschäftigt. Frei von politischem Wettstreit, – der in die Tagesblätter gehört, seit die Frau Staatsbürgerrecht erhielt, – soll unsere neue Frauenbeilage im frischen Wechsel all die zahllosen Fragen möglichst erschöpfend und vielseitig berühren, die den weiter gesteckten Zielen unserer Frauenwelt entsprechen. Bei stärkster Betonung aller praktischen Lebenswerte wird sich die Frauenbeilage ebenso mit Ethik, Berufs- und Erziehungsfragen sowie künstlerischen und literarischen Dingen beschäftigen.
Unter dem Wahlspruch: „Für alle etwas Gutes“ beginnen wir unsere Arbeit, die beharrliches Streben nach dem Besten richtungsweisend beeinflussen wird.“

1919 zog Frieda Radel, ebenfalls langjährige Mitarbeiterin des Hamburgischen Correspondenten, in die Richterstraße 17 als Nachbarin von Elinor ein. So ist es durchaus möglich, dass es Frieda Radel war, die Elinor und ihre Schwester Sibylle für eine Mitgliedschaft im Zonta-Club vorschlug.
Anhand alter Einzahlbelege lassen sich Elinors Beitragszahlungen nachvollziehen. So wurden am 2. Januar 1931 das Eintrittsgeld und der Jahresbeitrag, und auch am 9. Januar 1932 der weitere Jahresbeitrag eingezahlt. In einer Porto- und Ausgabenrechnung vom 25. Oktober 1932 ist letztmalig der Name Monsterberg dokumentiert.

Über die Austrittsgründe liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Eventuell lag es an einer angemahnten Forderung, einen Betrag von 1,10 Reichsmark für Bewirtung zu bezahlen, der während eines Besuches eines freiwilligen Arbeitsdienstes in einem Mädchenheim in Kakenstorf aufgelaufen war. In den Jahren bis 1934 schrieb sie dann überwiegend über kulturelle und sportliche Veranstaltungen.

Am 19. Juli 1945 starb Elinor im Alter von 73 Jahren an einer Mitralstenose, einer Verengung der Herzklappen. Sie wurde von ihrer mit im Haushalt lebenden Nichte gefunden. Nach der Trauerfeier in der Kapelle 1 mit Streichmusik und Orgel fand die Beisetzung am 26. Juli um 11 Uhr in dem Familiengrab des Kaufmanns Julius Anton Auer auf Elinors geliebtem Ohlsdorfer Friedhof statt.


Freitag, 4. Oktober 2019

REQUIEM FÜR MAY VON RIEDEMANN



25. Februar 1933, Hamburgischer Correspondent

Vor ein paar Wochen läuteten hier die Glocken für Geheimrat Cuno – heute am Morgen sammelte sich der hiesige und auswärtige Freundeskreis der Familie von Riedemann in der St. Marienkirche Danzigerstraße zur ernsten Stunde des Abschieds. Mit schnellem Griff und ganz unerwartet hat der Tod hier zugepackt. Für kurze Zeit auf ihrem schönen ländlichen Besitz in Barsbüttel, erkrankte Frau von Riedemann an einer schweren Grippe, die bald nach ihrer Überführung ins Marienkrankenhaus zu ihrem Tod geführt hat, ohne dass sie noch ein letztes Beisammensein mit ihrem Gatten erleben durfte. Viele danken ihr viel. Ohne große Geste des Gebens ist von dieser Hand oft gegeben worden. Das wussten damals, als der Krieg umging, die Frontsoldaten, die sie im Kriegslazarett ihres Hauses am Harvesterhuderweg in ihrer frischen Art mit pflegte. Das wissen heut die vielen einfachen Leute der Gemeinde, auch wenn es nicht ihre Art war, große Worte darüber zu verlieren.
Requiescat in pace ­– steht in schwarzen Buchstaben auf dem weißen Altartuch. Unter einer Fülle von weißem Flieder der Sarg zwischen den vielen flackernden Kerzen. Dechant Wintermann hält das feierliche Totenamt unter Assistenz zweier Geistlicher. Er wendet sich nach Beendigung des Requiems an Dr. Tonio von Riedemann und die Angehörigen der Familie: „Wenn der Tod kommt, wird es still im Haus. Wenn er so schnell und eilig kommt, ist er doppelt hart. Aber der Tod ist auch ein Bote Gottes und der einzige Trost, den wir haben, ist das credo in vitam internam. Nur einer ist, der ihnen wiedergeben kann, was sie verloren haben, wie er der Verstorbenen die ewige Ruhe geben wird. So bleibt eins, die frohe Hoffnung, dass der Tod nicht auslöschen kann das Band der Liebe.
Die Beisetzung erfolgte darauf im Ohlsdorfer Mausoleum der Riedemannschen Familie.



Freitag, 23. Dezember 2016

UND WIEDER EINMAL WILL ES WEIHNACHT WERDEN


An den feuchten Wänden der Unterstände erstarren die Wasserteile zu glitzernden Eiskristallen, und Dezemberfrost beißt sich fest in alles was Mensch ist.
Seitdem sich der Eishauch der Kälte durch jede Ritze schleicht, scheinen die Gewehrläufe zu brennen, wenn sie die bläulich getönten Soldatenfäuste anpacken, und es heißt aufpassen, dass der Finger am Abzug nicht plötzlich anfriert. Das kostet dann ein Stück Haut und obendrein spottlustiges Lachen bei den Kameraden.
Voll verdrossenem Zögern sinken feuchtkalte Flocken schwer und matt herab. Und endlos, mit Schnee belastet, wie der Mensch mit Gram, dehnt sich der Kriegsacker. Eis bedeckt das Moor. Und in den Brüchen, die umhegt sind von den zerschossenen, zerspellten Stümpfen schmaler, blasser Birken, knistert und bricht der leicht verharschte Sumpf. Krähen hocken krächzend auf den hochgereckten Beinen gefallener Pferde, die halb vom Schnee verschüttet sind. Plustern ihre Federn, streifen ihre dürren, harten Ständer an den ausgespreizten Flügeln, klappen knackend mit den Schnäbeln und verdrehen mit schlauem Blinzeln ihre schwarzen, scharfen Äuglein. Gute Zeit haben sie. Der Krieg deckt ihnen überall den Tisch.


In einem der festen, deutschen Unterstände sitzen drei Leute vom neunten Korps. Scharfe Furchen riss die Pflugschar des Erlebens in die jungen Gesichter. Und der eherne Tatwille, der auch sie ausharren lässt in der unerhörten Gewalt Tod ausspeiender Kämpfe, in der markaushöhlenden Wucht des Trommelfeuers, dieser Tatwille starrt aus ihren Augen, die in die Weite gerichtet sind, als warteten sie auf etwas von unsagbarer Urgewalt. Sie kauern um den glutspuckenden eisernen Ofen, rauchen und brüten vor sich hin.
         „Kinners, nun ist bald wieder Weihnachten,“ sagt Hinnerk, „das dritte Mal schon draussen.“
„Na ja,“ meinte der lange Klaus und pafft dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife, „und die dort drüben werden auch wieder für feurige Christbaumkerzen sorgen.“
Und dann fangen sie an, die drei, langsam, widerstrebend fast, von Weihnachten zu sprechen. Ruckweise kommt es heraus. Was sie reden, ist nur ein laut gewordenes, verstohlenes Denken. Und leise webt es wie Weihnachtszauber durch den Unterstand. Jeder versteckt etwas Liebes unter dem Brustbeutel. Irgendwo scheinen tiefe Glockentöne zu schwingen. Und waren doch nur feindliche Eisengrüße.
„Tja, der dritte Weihnacht,“ unterbricht Hinnerk das Schweigen und hustet angestrengt, damit die anderen nicht merken sollen, dass seine Stimme weich wurde.
         „Ob sie wohl in Hamburg an uns denken? So’n lütten Weihnachtsgruß an uns schicken?“
„Weißt du,“ meint Klaus, „Hamburger Pakete krieg ich zu gern! Da is immer so nett was in, die Hamburger schicken feine Sachen. Aber dies Jahr, glaub’s kaum. Die haben’s jetzt auch nicht leicht in der Heimat, und das Paketschicken wird wohl diesmal nichts werden.“
„Das mag wahr sein,“ nicht Hinnerk nachdenksam, „aber schade, bitter schade is das doch. Denn ich hab gar keinen Menschen, der mir sonst was schickt, zum Christfest. Und kämpf doch auch für die Heimat, selbst am Weihnachtsabend.“
Lautlos fällt der Schnee. Und auf die Decke des Unterstandes hämmert urplötzlich mit prasselnden Schlägen hart gefrorenes Erdreich, donnerndes Steingeröll, die eine unweit platzende Granate herüber schleudert.
Der wache Tod trommelt mit knöchernen Fingern drei deutschen Kriegern ein hohles Christlied.

Und wieder einmal will es Weihnacht werden. Ungezählte Köpfe und Hände denken und regen sich im Liebesdienst für unsere Feldgrauen. Emsige Arbeitstätigkeit herrscht im Gutrufhaus, wo die Weihnachtsgaben für sie verpackt werden. Ein gewaltiges Warenlager türmt sich dort auf, das planmäßig aufgestapelt und ebenso abgebaut wird. Hoch in die Tausende gehen die Gebrauchsgegenstände, in die Millionen die Zigaretten du Zigarren, die eingekauft sind, aber noch immer genügen die schwindelnden Zahlen nicht, um möglichst vielen unserer Helden, die aus Deutschland eine stille Insel des Friedens machten, eine Weihnachtsgabe senden zu können.
Weihnachtliche Vorstimmung geht um in den Packräumen. Ein geheimnisvolles Rascheln und Klappern dringt von den weitgestreckten Tischen, mit freudigem Ernst wird ununterbrochen gearbeitet und gesorgt. Sorgsame Frauenhände legen die Hamburger Sachen in die Pakete, voll des heißen Dankes, dass auch sie sich durch unserer Krieger unerhörte Opfer frei und unbefleckt regen dürfen.

Gesegnete und friedliche Weihnachten wünscht Elinor von Monsterberg
19. November 1916, Hamburgischer Correspondent, (Hamburger Staatsarchiv / 741-4_S 13016)

Sonntag, 12. Juni 2016

Sommerferien in Schottland

Hin und wieder stösst man auf alte Texte anderer Autoren und empfindet diese als so originell, das man sie eigentlich einem interessiertem Publikum wieder zugänglich machen möchte. 
In Velhagen & Klasings Monatsheften von 1910 / 1911 fand ich diese unterhaltsame Reisebeschreibung von Heinz Grevenstett. Wunderschön bebildert mit Originalaufnahmen von Charles Reid.


Aufbruch zur Fuchshetze
„... Und wenn Sie Ihr Weg einmal nach Schottland führt, so sollen Sie uns in unserem shooting box willkommen sein!“ sagte in London der Hausherr zu mir, als ich mich nach dem Dinner verabschiedete.
Die Deutschen lassen ähnlich klingende Einladungen auf unbestimmte Zeit alljährlich in der Sommerfrische zu Dutzenden ergehen. Es empfiehlt sich, ihnen nicht zu folgen, denn das plötzliche Auftauchen eines Logiergastes kann selbst im besteingerichteten deutschen Heim zu dramatischen Verwicklungen führen. Die Einladung war nämlich gar nicht ernst gemeint, sie war nichts weiter als eine Höflichkeitsphrase.
Anders in England. Der Brite ist Fremden gegenüber, die er im Hotel oder bei Geschäftsabschlüssen kennen lernt, von einer fast an Ablehnung mahnenden Zurückhaltung. In seinem ganzen Dasein macht er auf Reisen nicht soviel „reizende“ Bekanntschaften, wie jedes Mitglied einer vierköpfigen deutschen Bürgerfamilie während eines fünfwöchigen Ferienaufenthalts. Aber den ihm durch Freunde Empfohlenen gegenüber ist er von einer großzügigen Gastfreundschaft.

West Highland Terriers

Im allgemeinen sind ja seine Daseinsbedingungen leichter, ist seine Lebensführung gehobener als die derselben sozialen Stufe des deutschen Vetters. Und noch eines erleichtert es ihm wesentlich, Fremde in seinem Großstadthaus oder Sommerheim als Gäste für Tage oder Wochen aufzunehmen: alle Engländer der guten Klassen haben von Kindheit auf dieselbe Tageseinteilung, die nämlichen Lebensbedingungen, die gleichen Gewohnheiten. In der ganzen Welt, wo immer ein Engländer weilt, in Indien wie in Kanada, in Sansibar wie in Kairo, gelten dieselben häuslichen und kulinarischen Gesetze. Nach dem Morgenbad wird das grundlegende Breakfast genommen. Jeder Hausgenosse erscheint dazu innerhalb eines Spielraums von etwa anderthalb Stunden, setzt sich seine Mahlzeit nach eigener Wahl aus den bereitstehenden Schüsseln mit Fisch, Geflügel, Porridge, Speck, Eiern zusammen — und ist hernach sein eigener Herr bis zum Dinner. Ob er am Luncheon um 1 Uhr teilnimmt, am Tee um 5 Uhr, das bleibt ihm überlassen. Hauptsache: um 7 oder halb 8 Uhr muss er in Frack und Lack und frischer Wäsche antreten, frischgewaschen, frischrasiert, gutgelaunt, gewillt, für den Feierabend alle Sorgen zu verabschieden und sich der festlichen Mahlzeit, den festlich gekleideten Ladies, vielleicht auch einer Partie Bridge oder einem improvisiertem Tanz zu widmen.

Rotwild in Arran

Ist man im schottischen Hochland zu Gast, so gehören die Stunden zwischen Frühstück und Hauptmahlzeit natürlich der Jagd. Rotwild, Damwild, Füchse und Hasen, vor allem die „Grouses“ werden gejagt. Wenn die Jagd auf die „Grouses“ — das schottische Moor- oder Birkhuhn — aufgeht, um den 12. August, dann entleeren sich die fashionablen Bäder längs der ganzen Küste; der Londoner Season, die schon in den letzten Zügen lag (bekanntlich tanzt man in London zur Winterszeit nicht halb soviel, wie zur Zeit der Garden-Parties“, ist mit einem Schlage der Garaus gemacht; die großen Behörden gehen in die Ferien, und in der ganzen Welt tritt die Ruhe der Sauregurken-Zeit ein: die englischen Diplomaten ziehen mit der Büchse hinter den Jagdhunden her, ebenso wie die Börsenmagnaten vom Hyde-Park-Corner a´la Rothschild, ebenso wie die sonst ewig hinter dem deutschen Wetter herhetzenden Federhelden der großen Londoner Tagespresse. Es ist die tote, die toteste Zeit des Jahres, in der absolut nichts Aufregendes im Weltgetriebe geschehen darf, weil man weit Wichtigeres zu tun hat, es ist die Zeit „dead as a doornail“.
Aber auf den entlegensten Bahnstrecken, den weltabgeschiedensten Landstraßen von Schottland herrscht jetzt ein Leben und Treiben ganz besonderer Art. In Schottland gibt es nur erste und dritte Wagenklasse. Der Uneingeweihte wird in diesen Sommerwochen die Insassen der beiden Klassen nach ihrem äußeren Eindruck sozial kaum auseinanderhalten können. Für das männliche Geschlecht gibt es nur eine einzige Tracht, ob Millionär oder Büchsenspanner, Minister oder Student: den Sportsanzug aus schottischem Homespun mit Kniehose und Sportmütze. Diese hausgewebten, meist kleinkarierten Wollstoffe sind von einer unerhörten Dauerhaftigkeit. In ihren armseligen Crofts, in den unfruchtbarsten, nördlichsten Gebieten des großen Königreiches, sitzen die Verfertiger an denselben Webstühlen, auf denen schon vor Jahrhunderten das Webeschiffchen hin- und herging; neue Muster, neue Farben, neue Abmessungen bei ihnen durchzusetzen, ist den Bestellern ganz unmöglich. Wiederholt hat sich der armen schottischen Weber die öffentliche Wohltätigkeit angenommen, um ihnen durch Ausmerzung des Zwischenhandels besseren Verdienst, bessere Lebensbedingungen zu verschaffen.

Englische Setters
Es gehört in den hauptstädtischen Gesellschaften 
zum guten Ton, solche Bestrebungen zu unterstützen. Die „Scottish Home Industries Association“, die den Verkehr der Privatkundschaft mit den armen Webern im düstersten Norden von Schottland vermittelt, wird von der Duchesse of Southerland protegiert. Mit Preisunterschieden je nach Farbe oder Muster gibt man sich hier nicht ab. Das Yard, einfach breit, wird mit sechs Schilling bezahlt. Für einen solchen Sportanzug kommt also ein hübsches Sümmchen heraus. Unsere Fabriken in der Lausitz liefern den Engrosgeschäften Stoffe für diese Zwecke zum vierten Teil des Preises. Aber nicht in der gleichen Qualität. Übrigens verlangt sie der deutsche Besteller auch nicht. Der Sportanzug, den ich mir von meiner ersten Schottlandreise mitgebracht habe, hält nun schon sechs Jahre, sieht dabei aus wie am ersten Tag (ebenso unansehnlich, meint mein Harzer Jagdfreund), und ich glaube, er hält noch ein rundes Dutzend Jahre länger. Und ebensolang — fürchte ich — wird ihm der echte schottische Hochlandsgeruch treu bleiben, der sich weder beim Dekatieren, das Spindler besorgte, noch im jahrelangen täglichen Gebrauch bei jeder Art von Sport verfüchtigt hat: diese eigenartige Mischung der Düfte von Schafherden und Torfrauch.
Auch der nässeste Regen ist nicht imstande, dieses dicke, fettige, haarige, dabei ganz leichte Gewebe zu durchdringen. Deshalb tragen es trotz seiner Unansehnlichkeit auch die Damen im schottischen Hochland, am liebsten weiß, d. h. was bei dieser Wolle, die keinerlei chemischen Verfahren unterzogen wird, eben weiß genannt werden kann. In das Einerlei der gelblich-gräulichen Quadrate und Quadrätchen der Sportsanzüge bringt ab und zu nur einmal ein schottischer Hochländer eine Abwechslung. Prachtkerls sind das mit ihren nackten Knien. Der Kilt ist´s, das kurze Röckchen, der die Farbe gibt. Jeder Clan hatte ursprünglich seine eigene Musterung und Farbenzusammenstellung. Das Röckchen vertrat also das Banner oder das Wappen. Auf Meilen hin konnte das gute schottische Auge die Stammeszugehörigkeit der am Horizont auftauchenden Kämpen feststellen. Wenn man bisher unter „schottisch“ nur ein quadriertes Mischmasch von rot, grün, blau und gelb verstanden hat und in Oban oder Inverneß in einem der großen Spezialgeschäfte das Musterbuch, geordnet nach den alten Clans, vorgelegt erhielt, dann überkommt einen ein heiliger Schauder bei der Vorstellung, diese Möglichkeitskette bis in die letzten Glieder verfolgen zu sollen. Zum Glück verlangt das kein Mensch.
Zu der sportlichen Ausrüstung all der Gentleman und Ladies, die auf den schottischen Eisenbahnen ihren Jagd- und Fischrevieren zurollen, gehören aber noch unzählige andere Gegenstände, die der Mehrzahl der Mitteleuropäer sonst völlig unbekannt sind. Kein Sportangler, der sich nicht mit Gummihosen oder Gummistrümpfen versähe. 

Der Haken wird von der gefangenen Forelle entfernt
Beim Lachsfang, beim Forellenfang heißt es oft, stundenlang bis über die Knie im eisigen River stehen. Der praktische Engländer verlässt sich nicht auf getrantes Schuhzeug, das schon nach einer halben Stunde durchlässig zu werden beginnt. Er lässt sich die Prophylaxis gegen Rheuma lieber eine Stange Gold kosten. Denn nichtswürdig kostspielig sind all diese Sachen. Freilich benutzt er sie auch ein halbes Menschenalter hindurch. Billige Basarware kennt der Engländer nicht. Er kauft immer teuer und gut und haltbar. Aber wie hütet und pflegt er seine Ausrüstungsstücke und Jagdhelfer auch! Vor allem die Jagdflinten, die Angelruten! Und dann gar — die Jagdhunde!
Die über Edinburgh hinaus nach dem Norden fahrenden Züge beherbergen täglich ganze Meuten der prächtigen schwarz-weiß gefleckten, echten englischen Setters oder der spitzohrigen West Highland-Terriers und der Pointers. Die Fuchshetze freilich auf dem Vollblüter hinter der kläffenden Meute ist im Norden von Schottland nicht zu Hause. Aber auf den Inseln im Westen, wo die reichen Glasgower ihre Jagdbesitzungen haben, wo das herrliche irische Pferdematerial zur vollen Entfaltung all seiner glänzenden Eigenschaften kommt in
Sprung und Galopp. Aus der eigentlichen Reitkunst, dem „versammelten Reiten“, macht sich der Engländer ja überhaupt nichts. Hindernisse nehmen und kantern, das ist kein Pläsier. Im Schritt lässt er das Pferd latschen, der Trab langweilt ihn. Jenseits des Caledoniankanals, der von Südwest nach Nordwest, oberhalb des „Hochlandes“, ganz Schottland durchschneidet — von Oban, der fashionablesten aller Sommerfrischen, gegenüber den Inseln Staffa und Jona, bis nach dem rosenroten Inverneß — jenseits dieses Riesenkanals beginnen die unendlichen Heide- und Moorstrecken, auf denen die Löcher und die Unwegsamkeit seinen rechtschaffenen Galopp mehr ohne Gefahr für Reiter und Pferd zulassen.

Ein erschreckter Hirsch (Im Jagdgebiet von Arran)
















Mein Gastfreund hat vom Duc of Sutherland das ansehnliche Stück Land auf 99 Jahre gepachtet. Er hat es in dem Urzustand bekommen, den es zu Zeiten des vielbesungenen Prince Charlie gehabt haben mag. Da gab es weder Weg noch Steg. Jetzt durchzieht es eine famose Automobilstraße, die der Pächter auf eigene Kosten hat herstellen lassen.
„How do you do?“ — Am Bahnhof lädt uns der Hausherr in sein Auto von 32 PS, der Diener verstaut das Gepäck in den Jagdwagen. Dann geht´s los. In ein paar Windungen durch das kleine schottische Städtchen, darauf den nächsten Hügel hinunter, über den River, wieder links, dann rechts, eine endlose Rampe empor und in kühnem Bogen weiter...
Das surrt und rauscht und klingt... Es sind fünfzehn englische Meilen, d.h. vierundzwanzig Kilometer, polizeiliche Tempobeschränkungen gibt’s nicht. So wird denn eine gute Pace vorgelegt. Der flinke Jagdwagen trifft erst zwei bis drei Stunden später ein.
Während der Fahrt schon ahnt man den Reiz, den diese melancholische, über und über rot brennende Heide ausüben kann. So jammervoll die kleinen Crofts auch sein mögen, die hie und da am Wege auf dem unfruchtbaren Land stehen, so weltverlassen weit uns die Fahrt emporgeführt hat.
Da und dort ein Büchsenschuss — eine der Jagdpartien unseres Gastfreundes — mitten im River ein paar andere seiner Logiergäste, die dem Lachsfang, dem Forellenfang seit dem frühen Morgen obliegen, gestärkt nur durch den mundfertig mitgenommenen ein Uhr Imbiss. Sonst auf vielen, vielen Meilen kein lebendes Wesen.

Lachsangeln im Arvanflusse

Man belächelt innerlich schon die großen Koffer, die der Jagdwagen in großer Respektfrist hinterdrein schleppt.
Aber sobald uns das Haus aufgenommen hat, sehen wir, dass hier draußen derselbe selbstverständliche Komfort herrscht wie in der Weltstadt. Jedes Ehepaar hat sein für sich abgeschlossenes kleines Etablissement: der überaus bequeme Toilettentisch zeigt der ankommenden Dame sofort, dass ihr zum Dinner erlaubt sein soll, sich so schön als möglich zu zeigen.
Und das ist von nun an Abend für Abend ein gesellschaftliches Ereignis nach der sportlichen Ungebundenheit des Tages: im Drawingroom am Kamin, der mit Torf geheizt wird, versammelt sich die fröhliche Gästeschar; die tausend Jagdabenteuer bieten immer neuen Stoff zum Plaudern und Necken; man hat die manchmal geradezu unheimliche Beute dieser und jener Jagdpartie drüben im Jägerhause bestaunt, es werden für den nächsten Tag neue Verabredungen getroffen, je nach Verfügbarkeit der Jagdwagen. Denn nicht jede Jagd kann vom Hause aus ihren Anfang nehmen. Zum See, der die schönsten Forellen aufweist, zu dem flinken Fluss, der die vielbegehrten Lachsstellen hat, wird man zwei, drei Stunden flotten Wanderns brauchen. Die Strapaze fürchtet man hier nicht. Aber man geizt mit der Zeit. 

Anschleichen des Wildes

Ich bin am liebsten mit der Jagdflinte hinter der Meute auf die „Grouses“ mitgegangen, aber ab und zu musst’  ich doch auch die berühmtesten Sportangler, die Champions, weit hinaus begleiten und lernte die Passion wenigstens begreifen und die große sportliche Geschicklichkeit bewundern. So, wenn die Schnur ihre dreißig Meter weit durch die Luft sauste, aber an ihrem Ende die „Fliege“, zart wie ein Hauch — wie eben ein federleichtes Insekt — die Wasseroberfläche berührte...
 
Ein schottischer Forellenbach
Schwapp, zuckte es in der mächtigen Rute, die sich sofort bog, es ging ans Aufwickeln des Garns, und der mächtige Lachs war für das Menü des folgenden Tages sicher... Meine „Fliegen“ dagegen pfiffen wie Teschinggeschosse ins Wasser, und die Lachspatriarchen mögen sich über des Fremdlings selbstverräterische Versuche nicht wenig gewundert haben. Ein einziger Mittellachs war meine Ausbeute während der achtstündigen Kampagne. Unser Champion förderte alle zwanzig Minuten einen der silbern schimmernden zappelnden Kerle ans Tageslicht. Unzählige Male warf er dafür die Schnur aus. Es gab auf seinem ernsten Gesicht niemals eine Enttäuschung, aber stets ein kurzes freudiges Aufblitzen in seinen Augen, wenn ihm der Wurf gelang. Keine Jagd konnte ihn so reizen. Das war sein eigentlicher Ferieninhalt: hier bis über die Knie im reißenden River stehen, Tag für Tag, und die Angelschnur auswerfen — energisch beginnend, zart endend, wie ein Hauch.
Wenn die Sonne schien, wenn die rote oder weiße Erika gegen den frischblauen Himmel sich abhob, dann war es am River so ferienschön wie auf allen anderen Jagdpartien. Aber — die wirklich schönen Sommertage sind hier eben selten, sehr selten. Es kann unter diesem Himmelsstrich regnen — regnen! — wie kaum in Interlaken oder Salzburg oder Bergen oder sonst einem der berühmten Orte, wo die Kinder gleich mit Regenschirmen zur Welt kommen. Und wenn es in Schottland regnet, dann ist es ein ganz eigenartiger Regen. Er kommt nicht strichweise, sondern er macht sich gehörig breit, legt sich plump vertraulich über die ganze Insel und deckt sie zu. Nun ist es, als wäre das ganze Land mit Milliarden Bindfäden mit dem Himmel verbunden. Es regnet, regnet. Regnet tagelang, unter Umständen wochenlang. Schließlich ist die Luft so wasserdick, dass man’s glauben würde, sagte einer: es regnet nicht nur vom Himmel herunter, sondern auch von der Erde hinauf!
Aber die Jagd geht fröhlich weiter. Man ist wohlverwahrt, der schottische Homespun ist verlässlich, die Sportangler vervollständigen ihre Gummiausrüstung von unten her durch die Ölzeuge und das Cape, das bis über die Hüften hinunterreicht.

Beobachtung des Wildes durch das Fernrohr
Es werden für die Moorhuhnjagd Manövertage erster Ordnung. Diese sportgeübten britischen Herren und Damen lassen sich durch das Wetter nicht abhalten. Der Regen regnet, in weit auseinandergezogenen Trupps ziehen wir über die Heide, bergauf, bergab, springen über Tümpel, waten durch kleine Bäche. Der Regen regnet. Die Hunde schleichen vor uns her, die Nase in die Luft, ducken sich, alles steht schussbereit — trrüü, da geht die Kette hoch, piffpaff, piffpaff — purzelnd, flatternd kommt mit dem Regen die Beute aus der Luft herab — schon sind die Hunde dabei und apportieren. Und blitzschnell erwischt das Schrot auch ein aufgescheuchtes Häslein, so en passant.
In weitem Abstand folgt der Tross. Ein paar Jagdgehilfen, ein Hundemaster mit dem Teil der Meute, der noch geschont werden soll, ein schottisches Pony, das die schon halb gefüllten Beutekörbe trägt, ein zweites mit den Mänteln und den Paketchen, die den Lunch enthalten.
Ein Uhr. Es regnet natürlich noch immer. Wir sind in eine Art Talkessel geraten. Nun bilden sich Gruppen. Die Mäntel werden gebracht. Man wickelt sich ein. Immer vier Jagdteilnehmer, Männlein und Weiblein, nehmen dos-a’-dos auf dem nassen Heideland Platz. Jeder öffnet sein Paketchen und findet ein kleines Glas, Fleisch, Ei, Käse, Kuchen. Einer vom Jagdgefolge wandert mit der Whiskyflasche rundum und füllt die Gläschen — falls sie ihm hingehalten werden. Es gibt merkwürdigerweise Leute, die selbst unter solchen Umständen ihr antialkoholisches Gelübde band. Ich danke meinem Schöpfer, dass mich kein Gelübde band. Aber gebrochen hätt’  ich’s da oben sicherlich. Der brennende, rauchig schmeckende, alte Whisky rollt durch das ganze Gebein, es ist herrlich. Er trocknet innerlich. Denn der Regen ist nun ja doch durch den Homespun eingedrungen. Und durch die Haut...
Oder ist das physikalisch unmöglich?...

Der Jäger prüft das apportierte Haselhuhn
Alles ist Regen, alles, alles, alles. Der Boden, die Luft, der Himmel, das Hühnerkeulchen, das ich abknabbere, schmeckt nach Regen. Trocken und warm ist einzig der Whisky. Ach was, ich lasse mir noch einen zweiten einschenken. Und darauf die komischste Anstrengung, die abenteuerlichste Verrenkung, um unter dem Cape oder dem Mantel Feuer zu bekommen und das Holzpfeifchen in Brand zu setzen. Da und dort pafft einer schon. Nur zwei, drei Züge, dann löscht es der Regen. Aber die Whiskywärme in Verbindung mit der brenzligen Monrose-Ahnung auf der Zunge stärkt für den zweiten Teil der Kampagne. Frische Hunde werden ausgesucht, dann geht es weiter. Der Regen regnet, es geht bergauf, bergab, über Tümpel, durch Bäche; der Regen regnet, und die wundervollen, schwarzweiß gefleckten Setters schleichen geduckt, den Kopf einziehend, die Nase hebend, vor uns her. Und es regnet, regnet, regnet...
Es ist längst fünf Uhr vorbei. Wir sind fünfzehn Kilometer vom Hause entfernt. Weit, weither schlägt da ein Huppensignal an unser Ohr. Da drüben muss die Straße sein. Mein Goerzglas heraus. Und nun geht bald ein fröhliches Winken los. Die Jagd wird abgebrochen. In zwei, drei Partien bringt das Auto, besetzt bis zum letzten Notplatz, die Gesellschaft heim. Es kommt dem zweiten Trupp nach einer halben Stunde, dem dritten nach einem Viertelstündchen schon wieder entgegen.

Der erlegte Hirsch wird auf einem schottischen Pony heimgebracht






















Zu Hause begibt man sich, wenn die Beute im Jägerhaus abgeliefert und gründlich besichtigt ist, zunächst in die geräumige Stiefelkammer, einen der wichtigsten Räume eines komfortablen shooting box. Hier werden die Gamaschen, die dicksohligen Stiefel abgelegt. Ein Angestellter reicht in einem gastfreien Hause kaum aus, um die Riesenaufgabe zu bewältigen: all das Lederzeug bis zum nächsten Morgen wieder gebrauchsfertig zu machen.
Und nun das herrliche Bad. Nach keinem noch so strapaziösen Korpsmanövertag kann einen ein unversehens statt des geplanten Biwaks erwischtes Sektnotquartier so wundervoll anmuten. Ein kleines Stündchen später findet sich die ganze eingeregnete Gesellschaft im Drawingroom wieder zusammen. Die ausgesuchten Leckerbissen bringt jeden Tag das Automobil vom Londoner Expresszug. Alter Portwein, „Hock“ und Champagner hält die fröhliche Stimmung fest. Die Fenster werden geöffnet. Der Regen regnet noch immer.
Aber das kümmert uns jetzt nicht. Der Hausherr hat eine Überraschung für uns. Schottische Dudelsackpfeifer wandern draußen auf und nieder. Bald näher, bald ferner klingen die melancholischen Weisen durch den gleichmäßig plätschernden Regen. Ein Diener muss ein paar große Wassergläser bringen, eigenhändig füllt sie der Hausherr mit Whisky und schickt sie den Leutchen hinaus. Die vom Kontinent sehen mit einigem Entsetzen den Umfang dieser feurigen Spende. Aber was so eine richtige schottische Dudelsackpfeiferskehle ist... Und der Regen ist so nichtsnutzig nass...
Anderen Tags aber strahlt die Sonne. Und nun beginnt eine märchenhaft schöne Zeit. Schon liegt die herbstliche Klarheit über der Landschaft. Das wunderbare Farbenspiel der Heide beginnt. Jeder Tag ein Gottesgeschenk.

Pointers auf der Suche
Das Bild der Gästeschar wechselt. Man lädt nach guter alter englischer Sitte auf eine bestimmte Zeit. Der Gast weiß: dann und dann soll über Dein Zimmer wieder verfügt werden. So gibt es kein geniertes Erwarten: wird man Dich noch nötigen zu bleiben? Und keine Unsicherheit: störst Du auch nicht?
Sonnabends und Sonntags wird nicht gereist. Von Sonnabend abend sechs Uhr bis Montag früh sechs Uhr geht keine Eisenbahn in Schottland (nur die beiden großen Durchgehenden Züge machen eine Ausnahme), in dieser Zeit wird kein Briefkasten geleert, keine Post, keine Zeitung bestellt. Es herrscht Sonntagsfriede im ganzen Lande. Zuerst meint man: aber das geht ja gar nicht. Bald sieht man, wie gut es geht. Es wird freilich in dieser Bummelruhe, wie manche wissen wollen, manchem Old Whisky mehr, als des Regens wegen nötig, der Garaus gemacht. Aber es ist auch der Tag, an dem man die Millionen Bücher liest, die in Schottland gekauft (nicht geliehen) werden.
Wer es irgend ermöglichen kann, dehnt die Ferien bis in den Oktober hinein aus. Die das unerbittliche Geschäft früher nach London, Edinburgh und Glasgow ruft, machen um so häufiger Gebrauch von den weekend-ticketts. Sonnabend schließen alle Bureaus um ein paar Stunden früher als sonst. Dann beginnt die große Flucht aus den Städten. Und um den Sonntag voll ausnutzen zu können, ist man so klug, die Geschäfte Montags um ein paar Stunden später beginnen zu lassen. Die Heimreise wird nicht wie von den Berliner Vororten Sonntag abends mit übermüdeten Kindern in überfüllten, verqualmten Coupés angetreten, sondern Montag früh.

Der Setter bewacht Büchse und Beute
Flinke Geschäftszüge führen die Herren und die Schüler nach der Stadt, zu bequemer Stunde folgen die Frauen mit dem Dienstpersonal.
Und so ein sonniger, klarer Sonntag im schottischen Hochland zwischen Edinburgh und Glasgow oder noch weiter nordwärts in dem schönen Oban, im rosenroten Inverneß, kann einen unvergesslichen Eindruck geben: man liegt am Meeresstrand, am Flussufer, mitten in der einsamen Heide, man liegt und sinnt und schaut und träumt... Auf Schritt und Tritt ringsumher Erinnerungen an liebe, alte schottische Sagen. Und an Walter Scotts Romane, an „The Lady of the Lake“ und hundert andere uns seit Jugendtagen bekannte Gestalten.
Ich habe in meinem Reisegepäck auch nach Fontanes „Aus England und Schottland“ und Eduard Heycks famoses Bändchen „Maria Stuart“ mitgeführt. Und ich will nur gestehen, sie waren mir bei weitem wertvoller als der Baedecker.